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Hetlinger Bote · Ausgabe 48 · Dezember 2021                                                     Infos





            Historische Bildserie

            HETLINGEN DAMALS



            Die Binsenschneider in der Haseldorfer Marsch


                                          Knietief  standen  die
                                          drei Männer in hohen
                                          Stiefeln, alten Jeans
                                          und einer Sichel in der
                                          Hand im seichten Elb-
                                          wasser am Hetlinger
                                          Deich zwischen We-
                                          del und Haseldorf. Es
                                          waren in den 90erJah-
                                          ren die letzten Bin-
                                          senschneider    des
                                          Nordens: Dazu ge-
                                          hörten im Nebener-
                                          werb auch die Hetlin-
                                          ger Werner und Ralf
                                          Richter, Gerhard und  schnitt eines Binsenarbeiters. Zum Trocknen wurden
                                          Jens Seifert, Dierk  die Binsen schließlich ein bis zwei Wochen fächerar-
                                          und Jens Körner.     tig auf einer Wiese ausgebreitet. Kamen zur Erntezeit
                                          Sanft wogen sich     der Binsen mal neugierige Hamburger vorbei und frag-
                                          die Binsen zwischen   ten die Binsenschneider, was sie dort machen, beka-
                                          Fährmannssand und    men sie mit einem Augenzwinkern zur Antwort. „Wir
                                          Hetlinger Schanze im   schneiden hier Riesenschnittlauch zur Versorgung der
                                          Sommerwind.    Fast  Bundeswehr“.
                                          kerzengerade wuch-   Damals gehörten vor allem Tischler und Korbmacher
                                          sen sie im Süßwass-  zu den Abnehmern des natürlich gewachsenen Roh-
            erwatt der Elbe bis zu zweieinhalb Meter hoch. Aus dem  stoffes. Auch Möbelproduzenten wurden beliefert. Sie
            Naturmaterial wurden unter anderem Sitzpolster und  fertigten aus dem Naturmaterial geflochtene Sitzpols-
            Rückenlehnen geflochten. Doch vor der Verarbeitung  ter und Stuhllehnen. Die Binsen aus der Elbmarsch wa-
            musste geerntet werden: mit Schneiden, Bündeln und  ren die besten in ganz Europa, weil sie strapazierfähig,
            Abtransportieren der Binsen. Ein harter Job im Schlick.  elastisch und weich waren. Aber die Qualität der Binsen
            Seit Jahrhunderten wurden die Binsen einmal im Jahr  nahm im Laufe der Zeit ab und die Nachfrage der Möbe-
            zwischen Juli und August geerntet, wenn sie noch nicht  lindustrie entwickelte sich rückläufig – heute gehört das
            reif und verholzt waren. Die Binsenernte war von der  Binsenschneiden zu den ausgestorbenen Handwerken.
            Tide abhängig. Zwei Stunden nach Hochwasser fuhren  Dazu Jens Körner: „Die Nachfrage nach unseren Bin-
            die meist dreiköpfigen Mannschaften mit flachen Boo-  sen aus der Elbe war aber nach wie vor vorhanden.
            ten los. Man wartete, bis das Wasser abgelaufen war   Auch noch viele Jahre später nach der Einstellung der
            und schnitt dann die Binsen mit sensenähnlichen Mes-  letzten Betriebe kamen immer noch Nachfragen. Die
            sern wenige Zentimeter über dem Schlick ab. Dabei   durch die Elbvertiefungen ausgelöste Verstärkung der
            standen die Erntehelfer bei der Knochenarbeit knietief   Fließgeschwindigkeit und der damit verbundenen star-
            im Watt. Dort wurden die geschnittenen Binsen auf den   ken Versandung des Fährmannssander Watt ließ die
            sogenannten „Binsenbock“ gepackt, gebunden und bei   Qualität und Quantität der guten „blauen Binse“ ste-
            auflaufendem Wasser in die Boote verladen.         tig nach. Wir sehen auch heute noch viele Binsen dort
            Bei der nächsten Flutwelle war der Wasserstandwieder  stehen, aber nicht mehr die hochwertigen „blauen Bin-
            so hoch, dass die Tagesernte an Land gebracht werden  sen“, die wegen ihrer guten Verarbeitungsqualität so ge-
            konnte. Etwa 100 Binsenbunde war der Tagesdurch-   schätzt waren“. uk



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